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Emotionen und Gefühle: große Wellen, kleine Wellen

 

Inhaltsverzeichnis

 

Seine Gefühle zu unterdrücken ist praktisch Standard. Legen Sie sofort Einspruch ein wie eine Klientin von mir, die meinte, dass sie doch ein emotionales Wesen sei? Sehr gern! Denn die eigene Emotionalität bedeutet nicht, dass man auch seine Gefühle, die deutlich feinere Wahrnehmungen sind, spürt. Häufig verhindern die stärker ausschlagenden Emotionen, dass man überhaupt erst auf die Gefühlsebene kommt.

Die Berechtigung von Emotionen

Emotionen sind eine sehr sinnvolle Erfindung. Sie sind primär dazu da, uns zum Handeln in Situationen zu motivieren, in denen es schnell gehen soll. E-Motion, also eine Heraus-Bewegung, bewirkt, dass wir genug Energie aufbauen, um schnell und instinktiv zu handeln. Ein Kind droht auf die Straße zu laufen? Sofort wird unglaublich viel Energie aktiviert, die es uns ermöglicht, so schnell zu rennen, wie noch nie im Leben, und das Kind vor dem heranfahrenden Auto zu retten. Danach werden wir euphorisch oder zitterig oder müde. Die Energie muss sich wieder abbauen. In vielen Situationen reagieren wir aber emotional, obwohl es gar nicht notwendig ist. Der Grund dafür ist, dass diese Situationen an etwas Unverarbeitetes gekoppelt sind, wofür wir als Lösung ein Schutzmuster herausgebildet haben. Die Emotion sorgt dafür, dass wir dieses Schutzmuster auch ausführen zwecks Überleben.

Die groben Emotionen übertönen die feineren Gefühle

Nur leider sind nicht alle Muster, die unser Überleben sichern, auch im Hier und Heute sinnvoll. Viel mehr hindern sie uns daran, voll und ganz zu leben und zu erkennen, was wirklich los ist. Die Emotionen mit ihren großen Ausschlägen übertönen nämlich die feinen Gefühlswellen (s. Bild). Das ist so, als wären die Emotionen wie laute Musik, die die feinen subtilen Töne der Gefühle, die leise spielen, übertönt.

Aus Schutzimpulsen heraus brechen wir aber das Reiten auf diesen Wellen ab und bleiben meist irgendwo stecken, z. B. oben in der Wut oder unten in der Sinn- oder Hilfslosigkeit. Die Lösung bestünde darin, den Schutz zu überwinden, die Emotion bis zu ihrem Peak zu durchleben und so zur Gefühlsebene vorzudringen. Am einfachsten gelingt es mit einem Gegenüber, das einen hält und das in seiner Mitte bleibt, so dass man auf sich konzentrieren und den Transformationsprozess einleiten kann. Man kann aber auch lernen, es alleine zu lösen. Das wäre dann eine Transformation. Für den Anfang reicht es aber auch, sich Bewusstheit über die eigenen Impulse und Reaktionen zu verschaffen.

Impulse überprüfen

Wenn Sie das nächste Mal zu einem Stück Schokolade greifen oder eine vergleichbare Handlung ausführen, halten Sie kurz inne: Was war, bevor Sie zur Schokolade griffen? Also, bevor der Handlungsimpuls kam. Orten Sie dieses Dazwischen, das wahrscheinlich mini-kurz ist, vielleicht nur eine Millisekunde. Drehen Sie im Geiste die Zeit zurück. Spüren Sie irgendwo Verspannungen? Ist eine Körperstelle energielos oder gar schmerzhaft oder kalt? Ist Ihnen langweilig? Kommt das Gefühl der inneren Leere auf? Erforschen Sie es und nehmen Sie es an. Anschließend können Sie immer noch entscheiden, die Schokolade zu essen oder das zu tun, was auch immer sie impulsartig tun wollten, aber dann eben nicht mehr aus den falschen Gründen.

Emotionale Resonanz

Damit eine Emotion überhaupt erst entstehen kann, müssen wir eine Resonanz dazu haben. Sie ist also bereits in uns drin, kleiner oder größer. Ein Beispiel, das jeder kennt, besteht darin, wie unterschiedlich Menschen auf ein- und dieselbe Situation reagieren. Der eine ärgert sich, dem anderen ist die Situation egal, jemand anders freut sich sogar. All diese Menschen bringen unterschiedliche Resonanzen mit. Auch das Beispiel mit dem Wetter: Wie viele Menschen reagieren mit Deprimiertheit auf sogenanntes "schlechtes" Wetter. Das Wetter ist definitiv nicht schuld, sondern bringt diese Menschen nur mit dem bereits in ihnen Vorhandenen in Kontakt, sei es "dunkle Wolken", das "triste Grau" oder Spannungen in Form von Blitz und Donner.

Bleiben wir bei der Wettermetapher, die wir auf jede andere Situation übertragen können. So eine Wolke kann ja auch jede andere Situation im Außen sein: ein Stau, ein ärgerlicher Mensch, eine nervöse Anspannung in einem Raum usw. usf.

Der Beispiel-Mensch ist also gut drauf und es kommt eine Wolke auf ihn zu. Bringt er keine Resonanz mit, wird er in seiner Mitte und seiner Stimmung bleiben können.

In unserem Beispiel macht es natürlich Sinn, dass der Beispiel-Mensch eine Resonanz mitbringt. Was macht er dann aus der Resonanz heraus, also quasi automatisch? Richtig, er stellt sich unter die Wolke!

Seine Stimmung ändert sich schlagartig und er geht unter dieser Wolke regelrecht "baden". Übrigens kann man an dieser Stelle gut überprüfen, ob man eine Emotion aus einem wahren Überlebensgrund (Ich erinnere Sie daran, dass die Emotionen dafür da sind! Sie sind auch notwendig, damit wir uns im Notfall in Sicherheit bringen oder Angreifer abwehren können.) oder aus einem alten Schutz-Grund auftaucht. Im ersteren Falle ist es möglich, auf der Emotionswelle zu reiten. Die Welle ist auch spürbar. Die Spannung steigt an und ist nach ca. 20-30 Sekunden zu Ende. Oder spätestens nachdem die überlebensnotwendige Handlung ausgeführt worden ist. Alles an Emotionen, was länger als 2 Minuten andauert, ist mit hoher Wahrscheinlich den Schutzmechanismen zuzuordnen. Man ist unter alten Wolken, die in neuer Gestalt am Himmel aufgetaucht sind, steckengeblieben.

Die Lösung bestünde also darin, die eigene Resonanz, also die kleinere oder größere Wolke, die man in sich trägt, aufzulösen. Sie kann an eine oder mehrere alte unbefriedete Situationen oder sogar Traumata gekoppelt sein. Die meisten von uns konzentrieren sich auf die große Wolke, versuchen Einfluss auf sie zu nehmen, sie zu manipulieren, zum Verschwinden zu bringen, sie sich schönzureden oder auch düsterer als sie ist, sie zu rationalisieren oder zu ignorieren. Gern weisen wir sie auch jemand anders zu und versuchen sie bei den anderen zu bekämpfen. Oder wir hoffen, dass sie irgendwann von alleine verschwindet. Aber nein: Sie bleibt oder sie "besucht" einen in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen. Die Freiheit von alten Emotionsmustern und entsprechenden Handlungen bekommt man also nur, wenn man sich der eigenen inneren Wolke zuwendet und sie auflöst. Im Unterschied zu der großen Wolke ist es tatsächlich möglich, die eigenen Wolken aufzulösen. Das ist die Voraussetzung für den Schritt in die Freiheit. Die Emotionen regieren dann nicht mehr das Handeln, sondern die feinen Gefühle, die viel mehr differenzierte Informationen liefern und uns erst dann der aktuellen Realität wirklich angemessene Entscheidungen erlauben. Diese Freiheit verbessert auch das eigene Wohlbefinden: Die Abhängigkeit von anderen Menschen, ihren Befindlichkeiten und von äußeren Umständen schwindet.

 

Fragen zum Nachforschen und Ergründen

  • Wie sieht mein Leben aus? Bin ich ein emotionaler Mensch und erlebe ich viele verschiedene Emotionen? Oder bin ich eher bei den feinen Gefühlen zu Hause? Oder spüre ich eher wenig bis gar nichts, bin sozusagen taub geworden?
  • Wie sehr ist mein Wohlbefinden von anderen Menschen und von den äußeren Umständen abhängig?
  • Handle ich meistens aus emotionaler Bewegtheit heraus, bin also meinen Emotionen und Mustern ausgeliefert, oder schaffe ich es mittlerweile, innezuhalten und meine Impulse zu überprüfen? Oder ist es mal so, mal so und hängt von der Situation ab?
  • Wie gut habe ich bereits meine "Wolken" identifiziert? Habe ich schon welche aufgelöst oder verorte ich sie weiterhin im Außen? Bin ich bereit, mir meine "Wolken" anzusehen und den Schritt in die Freiheit zu wagen?

  

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Bildnachweis:
Zeichnungen von freiRaum / Katja Dikushina
Bilder von darksouls1 / Pixabay