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Ist die Unterscheidung zwischen Traumaanteilen und Schutzanteilen hinfällig?

 

Inhaltsverzeichnis

 

Die typische Unterscheidung

In der Tiefenpsychologie gibt es eine typische Unterscheidung in drei Arten von Anteilen: gesunde Anteile, Schutzanteile und Traumaanteile. Die Traumaanteile sind durch Überforderung in einer Situation entstanden. In ihnen ist viel Schmerz gespeichert. Die Schutzanteile bilden die Überlebensstruktur und sorgen dafür, dass der Menschen funktionstüchtig bleibt, wenn seine Traumaanteile angetriggert werden. Letzteres geschieht über Assoziationsketten, wie z. B. Gerüche, Farben, Bilder und andere Ähnlichkeiten mit der ursprünglichen Situation. Ein Wort oder ein bestimmter Tonfall können ausreichen, um die gesunden Anteile, die klar, ruhig und besonnen sind, von der Bühne runterzuschicken. Das Ziel der Psychotherapie besteht also darin, die traumatisierten Anteile aufzuspüren, die Schutzanteile kontinuierlich abzubauen und so, Schritt für Schritt, die traumatisierten Anteile, z. B. den kleinen Jungen oder das kleine Mädchen, die Gewalt erlebt haben, wieder in die Gesamtpersönlichkeit zu integrieren. Was wäre aber, wenn die Traumaanteile auch nur eine Art Schutz sind?

Eine sehr tabuisierte Sicht auf Trauma

Was ich an dieser Selle als Annahme äußere, scheint mir ein ziemliches Tabu zu sein, denn das würde die methodische Vorgehensweise und auch das Selbstverständnis vieler Menschen, sowohl auf der professionellen als auch auf der privaten Seite, in Frage stellen. Wenn Sie sich betroffen oder verärgert über meine Äußerung fühlen: Es ist Ihre Entscheidung, ob Sie meiner Sichtweise eine Chance geben. Tun Sie es, dann geschieht es auf eigene Gefahr. Diese Sichtweise könnte Ihnen Erkenntnisse bringen, die mit Ihrem aktuellen Selbst- und Weltbild nicht konform gehen. Dann haben Sie immer noch zwei Möglichkeiten: die Abwehr zu aktivieren oder es sacken zu lassen, um zu schauen, was Sie davon für sich verwerten können.

Wie kommt es zu den Traumaanteilen?

Die Traumaanteile entstehen, wenn eine Situation nicht abgeschlossen wurde, s. dazu auch den Blog-Artikel "Trauma als unabgeschlossenes energetisches Ereignis". Ein Mensch war in einer Situation, die er energetisch nicht aushalten konnte. Er war also noch nie wirklich am Boden oder auf dem Gipfel (Je nach Sichtweise, eben ganz unten oder ganz oben), weil er zum Zeitpunkt der ursprünglichen Situation nicht über genügend Energie (tatsächlich oder nur scheinbar) verfügte, um sie zu bewältigen. Wird die Erinnerung an diese Situation angetriggert, leitet sein System eine Wiederholungsschleife ein, und zwar immer in der Hoffnung, endlich zum Endpunkt vorzudringen. Gleichzeitig werden auch alle Anteile aktiv, die die Wiederholungsschleife verhindern wollen. Witzigerweise sind sie gleichzeitig ein wesentlicher Teil dieser Schleife. Die klassischen Schutzanteile gewinnen also die Oberhand: Man rationalisiert, urteilt, "vergisst", verleugnet, hat schlechte Ausreden oder auch sehr logisch klingelnde Argumente, ignoriert, analysiert und Ähnliches. Die Aktivierung der Schutzanteile verbraucht eine Menge Energie. Wird der Trigger stärker und ist die Energie irgendwann verbraucht, kommen die nächsten Anteile auf den Plan, die sog. Traumaanteile, und fangen an ihre "Trauma-Party" zu feiern: Tränen fließen ohne aufzuhören, Depressivität breitet sich aus, Selbstverletzung oder Selbstmordgedanken, emotionales Drama oder emotionales Black-out. Sie können die Liste gerne um alles ergänzen, was Ihnen bekannt vorkommt. Hat sich die Energie wieder aufgeladen, übernehmen nach einiger Zeit wieder die "normalen" Schutzanteile Nun, jetzt sind wir wieder bei der Theorie aus der Tiefenpsychologie angekommen: Würde es gelingen, Kontakt zu diesen Traumaanteilen aufzunehmen und sie zu integrieren, würde der Mensch gesunden. Tatsächlich geht es auch vielen Menschen damit deutlich besser. Sie fühlen sich besser, haben mehr Einfluss auf ihr Leben, weil sie weniger angetriggert werden können. Was ist, wenn die ursprüngliche Erfahrung trotzdem noch nicht abgeschlossen ist und die (ex-)Traumaanteile auch eine Art Schutz bilden, hinter dem etwas Weiteres steckt?

Der Bereich hinter Trauma

Hinter ursprünglichen Traumata versteckt sich ein spannender Energie-Bereich. Es sind unsere ursprünglichen Anteile, die ich als abgespalten betrachte (Achtung, viele Therapeuten verwenden den Begriff "abgespalten" für die Traumaanteile. Ich würde hier den Begriff verdrängt oder verleugnet bevorzugen. So wichtig ist es jetzt aber auch nicht, wer das wie bezeichnet. Hauptsache, Sie verstehen, was ich meine.). 

Die ursprünglichen Anteile sind vielfältig. Am häufigsten sehe in meiner Praxis:

  • Essenzen – das ist die wahre Identität des Klienten, die rein energetisch ist und kein Kopf-Konstrukt à la "Ich bin dieses oder jenes".
  • Begabungen, Talente und Fähigkeiten des Klienten; das Wissen, das ihm zur Verfügung steht, die Verbindung zur Intuition.
  • Entitäten – das sind reine Energien, z. B. Universelle Liebe, Wertschätzung, Freiheit, Sexualität, Kreativität, Integrität, Güte und viele andere. Da der Klient Blockaden in bestimmten Bereich, also im Körper, in den Emotionen oder im Mentalen hat, kommt deren Energie nicht durch. Es fehlt eine Anbindung an das Leben.
  • Spirituelle Anteile des Klienten. Hinter einem traumatisierten Kind-Anteil steckt z. B. häufig das sog. spirituelle Kind. Im Unterschied zum traumatisierten Kind ist es absolut heile und nicht bedürftig. Natürlich hat jeder Mensch auch bedürftige Kind-Anteile. Das sind psychische Anteile, die im Falle einer Traumatisierung stark beeinträchtigt oder überhaupt nicht spürbar sein können.
  • Der Geistführer des Klienten – das ist der innere Lehrmeister des Klienten, der ihn durch sein Leben führt und für die passenden Lektionen sorgt. Ist hier die Verbindung gestört, fühlt sich der Klient so, als hätte er wenig oder keinen Einfluss auf sein Leben und als würden die Dinge, die in seinem Leben passieren, einfach so über ihn einbrechen.

Trauma-Heilung

Nach meiner Arbeitsweise und Erfahrung würde komplette Trauma-Heilung bedeuten, dass man in den Bereich hinter den Traumaanteilen vordringt und die Essenzen und die anderen Anteile in das Ich des Klienten integriert bzw. den Klienten an die Entitäten und die übergeordneten, universellen Anteile anbindet. Dabei sind alle oben erwähnten Arten von Anteilen wichtig. Der übergeordnete Anteil ist allerdings der Geistführer. Hat man es geschafft, sich gut mit ihm zu verbinden, kann man sogar einen Heilungs-Plan ausarbeiten, nicht vom Kopf her wie früher, sondern so, wie es tatsächlich zu einem selbst passt. Der Weg zeigt sich.

In vielen Therapien wird mit den Trauma-Anteilen sehr vorsichtig umgegangen. Man wolle den Klienten nicht überfordern oder an etwas heranführen, wofür er nicht bereit ist. Das ist an sich ein guter Ansatz. Die Vorsicht und die Ängste verschwinden, sobald sich der Therapeut / der Heiler mit dem Geistführer des Klienten verbindet. Auch wenn der Klient es selbst (noch!) nicht kann, kann der spirituell orientierte Therapeut die Verbindung zum Geistführer des Klienten herstellen; schließlich stammt auch der wichtigste Heilungs- und Entwicklungsauftrag an den Therapeuten vom Geistführer des Klienten und nicht von dessen Ich. Damit wäre der Punkt der Überforderung erledigt. Außerdem kann der Heiler auf die Selbstregulation eines jeden Systems vertrauen und bei jedem Prozess darum bitten, dass der Geistführer des Klienten den Prozess so gestalten mag, wie es für den Klienten am besten ist. Ist der Therapeut damit unverbunden, versucht er diesen Mangel durch seine Methode und einige Versuche, den Prozess zu kontrollieren, auszugleichen. Vielleicht stellt er viele Fragen, aktiviert damit den ursprünglichen Schutz, so dass der Klient wieder mehr Abstand zu den Traumaanteilen hat. Oder umgekehrt, er lässt den Klienten in seinen Traumagefühlen verweilen. Ich beschreibe hier auch etwas, was ich mehrmals in Online- und Offline-Gruppensitzungen beobachtet habe. Ich möchte es auch nicht als Kritik verstanden wissen, sondern viel mehr als meine persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Ich denke, was in diesen Sitzungen passiert, ist ein Teil des Weges und richtig und wichtig. Es geschieht genau so, wie es geschehen muss. Die Alternative, die ich beschreibe, besteht darin, den Klienten in den Bereich hinter dem Trauma zu führen. In körperorientierten Therapien geschieht das über das Herstellen einer Verbindung zu einer Körperstelle, in der ein guter Energiefluss herrscht. Durch das sog. Pendeln, also das Wechseln zwischen einer Stelle mit gutem Energiefluss und der mit Blockade oder Trauma, löst sich die traumatisierte und blockierte Stelle auf. Die Energie fließt wieder. In meiner Praxis stelle ich "das hinter dem Trauma" gerne auf. Manchmal können die Klienten es benennen, v. a., wenn es eine Entität ist, wie z. B. Wertschätzung oder Schutz oder Liebe. In vielen anderen Fällen, v. a. wenn es um die eigene Essenz geht, ist das Benennen nicht möglich. Besonders dann, wenn sich das Symptom körperlich zeigt. Da ist die Entfernung zwischen den Schutz- und Traumaanteilen und dem energetisch reinen Bereich einfach noch sehr groß. Man kann trotzdem gut damit arbeiten, die Entfernung räumlich darstellen und die ersten Schritte der Annäherung und Klärung unternehmen.

Trauma-Anteile enttarnen

Wenn man es ganz hart formuliert, ist eine Traumatisierung im Endeffekt auch nur ein Selbstschutzkonzept, hinter dem sehr viel Energie und auch Macht steckt. Das wird der Trauma-Betroffene so wahrscheinlich nicht sehen, denn er ist mit seinem Leiden identifiziert, was absolut menschlich und verständlich ist. Es fühlt sich auch absolut echt an. Wenn man aber nicht erkennt, dass das Trauma auch Schutz darstellt, wird man sich ein Leben lang damit beschäftigen können, versuchen es durchzuarbeiten usw usf.. Oder man gelangt mit Absicht oder durch Zufall zur Schöpferebene, von der aus man sich ansehen kann, was man sich alles erschaffen hat, und entscheidet da anders. Das ist aber eine energetische und keine primär emotionale oder mentale Arbeit, auch wenn man dann dafür Schmerz zulassen oder seine Konzepte verändern muss. Schmerz und Leid ist übrigens nicht dasselbe. Traumatisierte Menschen leiden sehr und stellen sich vor, dass der Schmerz, der dann hinter ihrem Leid steckt, noch viel schlimmer und unerträglicher ist. Dies ist nicht der Fall. Der Schmerz entlädt sich, wenn er darf, und gleichzeitig geschieht Heilung und Erleichterung setzt ein. Das Leiden nimmt ein Ende. Allerdings gehört das Leiden zur Identität traumatisierter Menschen dazu, weswegen sie es nicht so einfach aufgeben wollen, was den meisten natürlich nicht bewusst ist. Und das Leiden verleiht ihnen Macht. Auch Eckart Tolle schreibt in seinen Büchern darüber. Die Traumaanteile bezeichnet er als Schmerzkörper, die sonstigen Schutzanteile als Verstand (der nicht mit der gesunden Vernunftsfunktion gleichzusetzen ist!). Der Schmerzkörper braucht regelmäßige Energiezufuhr, um weiterhin bestehen zu können. Die Lösung besteht laut Tolle darin, die Identifizierung mit dem Schmerzkörper aufzulösen, so dass die Energie, die noch darin enthalten ist, befreit werden kann. Ansonsten neigt der Schmerzkörper dazu, nach regelmäßigen Mahlzeiten zu verlangen. Und er tut alles, um die Umgebung so zu manipulieren, dass er bekommt, was er braucht. Natürlich entziehen sich diese Prozesse dem Bewusstsein des betroffenen Menschen, bis er irgendwann ein Bewusstsein dafür entwickelt.

Während einer Gruppensitzung sah ich bei einer Klientin, die mit ihrem Therapeuten in Einzelarbeit – die Gruppe war nur zum Raumhalten und Beobachten anwesend – arbeitete, immer wieder ein Mikro-Lächeln aufblitzen, wenn sie über ihre Schwierigkeiten und ihre Depressionen sprach. Man braucht etwas Übung, um solche Mikro-Ausdrücke zu erkennen. In diesem Fall blitzte das vergnügte und Überlegenheit signalisierende Lächeln immer wieder auf. Irgendwann ging der Prozess so weit, dass die Klientin selbst erkannte, dass sie Macht ausübt und manipuliert, indem sie leidet, z. B. in ihrer Paarbeziehung. Der Therapeut ging darauf nicht ein, wobei das wahrscheinlich den direkten Weg hinter die Traumaanteile geebnet hätte. Ich übte mich in Gelassenheit (Was für eine wundervolle Übung für mich!) und im Zugestehen des eigenen Weges (Es passiert genau das, was passieren muss!), fühlte mich gleichzeitig in meinem Instinkt bestätigt. Die Erfahrung in dieser Sitzung war der Hauptauslöser für diesen Artikel.

Für das Enttarnen der Trauma-Anteile als Schutzanteile ist für uns also wichtig festzustellen, dass sie häufig im Hintergrund etwas anderes meinen als im Vordergrund. Sie behaupten z. B. Kontakt zu wollen, und manipulieren ihre Umgebung und ihre Mitmenschen so, dass sie ihn nicht bekommen. Dann darf man wütend, enttäuscht usw. sein und seine Trauma-Anteile ausleben. Man kocht im Selbstmitleid, auch in dem Sinne, dass man sein Leid selbst erzeugt. Und noch einmal: Die Beschreibungen hier sind KEINE Kritik! Weder am Klienten, noch am Therapeuten. Es ist mega schwer, das zu erkennen. Es sind nur minimale Hinweise. Und es ist eine Tabu-Zone, in der wir uns hier bewegen, alleine von der moralischen Seite her, denn dem Opfer gilt ja immer unser Mitgefühl. Dass auf einer anderen Ebene das Opfer und der Täter eins sind, ist in vielen Bereich unangemessen, z. B. im juristischen Bereich. Wenn wir aber echte Heilung bewirken wollen, müssen wir hinter dem Opfer den Täter erkennen und auch mit ihm arbeiten. Haben wir es geschafft, bekommen wir den Zugang zum energetischen reinen Bereich hinter dem Trauma. Und da wollen wir alle hin, denn wir streben alle nach Ganzheit und nach dem Heilsein. Um eine meiner Lieblingsbands Alice in Chains, deren Musik die Traumaanteile bestens ausdrückt und gleichzeitig die Hoffnung und Sehnsucht auf Rettung und Heilung beinhaltet, zu zitieren:

"Like the coldest winter chill
Heaven beside you, hell within
Like the coldest winter will
Heaven beside you, hell within
And you know you have it still
Heaven inside you

 

Fragen zum Nachforschen und Ergründen

  • Betrachte ich mich als traumatisiert? Halte ich womöglich an meiner Traumatisierung fest? Was würde passieren, wenn ich morgen plötzlich aufwachen würde und keine Traumata mehr hätte? Was würde ich dann tun? Wie würde mein Leben weitergehen? (Bitte nicht rational beantworten, sondern reinspüren und echte Bilder generieren, sofern möglich!)
  • Wo und wann in meinem Leben habe ich gelitten? Welche Vorteile hatte ich dadurch? Welche Emotionen konnte ich dadurch ausleben? Welche Situationen erschaffen? Wozu war das notwendig?
  • Wie gut bin ich mit dem Bereich "hinter dem Trauma" verbunden? Mit den Entitäten? Mit meiner Essenz? Mit meinen Talenten und Fähigkeiten? Mit meinem Geistführer?

 

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