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Verlusterfahrungen verarbeiten: Tod, Trennung, Scheidung und andere Verluste

 

Inhaltsverzeichnis

 

Eine zentrale Verlusterfahrung zu verarbeiten ist häufig ein erster und wichtiger Schritt in einem therapeutischen Prozess

Wenn Klienten ihre Entdeckungs- und Verarbeitungsreise bei mir beginnen, geht es häufig nicht sofort an den tiefsten Knoten (s. meinen Blogeintrag über Knoten) oder an die tiefer liegenden Bindungs- und Existenztraumata. Bevor es ganz in die Tiefe geht, gibt es einige Prozesse, die davor bewältigt werden müssen. Grob lassen sie sich in zwei Bereiche unterteilen: Gewalterfahrungen und Verlusterfahrungen. Bei letzteren geht es am häufigsten um eine Verlusterfahrung, die durch den Tod einer geliebten Person verursacht wurde. Daher werde ich mich im Folgenden auf diese Erfahrung fokussieren, wobei die Erkenntnisse für alle anderen Verlusterfahrungen genauso gelten. (Falls Sie in einer Trennungs- / Scheidungssituation stecken und mehr über die Besonderheiten der Paardynamik erfahren möchten, empfehle ich Ihnen ebenfalls die Artikel "Der Paarprozess: Wie Partner aus Konflikten lernen und sich und die Partnerschaft weiterentwickeln können" und "freiRaum für Paare").

Habe ich genug getrauert? Habe ich den Verlust verarbeitet oder ist tief in mir noch ein Anteil, der am Verstorbenen / am Verlorenen festhält?

Häufig gehen Klienten davon aus, dass sie um die geliebte Person genug getrauert haben. Das stimmt sicherlich auch, zumindest aus ihrer Erwachsenensicht. Denn ein Erwachsener kann mit Verlusten umgehen. Er ist eigenständig und kann sich selbst regulieren. Anders sieht es bei den kindlichen Anteilen aus, die auch jeder Erwachsene in sich trägt. Sie brauchen eine Bezugsperson, die sich um sie kümmert und die sie reguliert. Genauso wie bei einem echten Kind sind sie (noch) nicht selbstständig und müssen irgendwo andocken. Da die meisten Klienten ihre ursprüngliche Verletzung in der Erfahrung mit ihrer Mutter gemacht haben, die emotional nicht zuverlässig oder sogar unerreichbar für sie war, haben sie als Kinder je nach Verfügbarkeit eine andere Person zum Andocken gesucht. Häufig war es eine besonders geliebte Oma oder eine Patentante. Wenn diese Person stirbt, droht das innere psychische System dieser Klienten aus dem Gleichgewicht zu geraten. Die Verlusterfahrung kann mangels Ressourcen nicht oder nur zum Teil verarbeitet werden. Das kann auch bedeuten, dass der erwachsene Anteil den Verlust akzeptiert und verarbeitet hat (und der Kopf weiß ja auch, dass dieser Mensch tot ist), aber der kindliche nicht. Ganz im Gegenteil. Er versucht an der Repräsentanz dieser Person im eigenen psychischen System mit Gewalt festzuhalten und lässt sie nicht los. So als würde er den Tod rückgängig machen oder erst gar nicht akzeptieren wollen. Wenn die Person tatsächlich für immer weg wäre, dann wäre er vollkommen verlassen und allein. Eine Alternative zum Dazugehören (die jetzige erwachsene Person) kennt er noch nicht.

Wie kann man den Trauerprozess abschließen?

Die Träne und das AugeIm Prozess kann man, sobald es klar wird, dass die Symptome des Klienten aus einer nicht verarbeiteten Trauer resultieren, nach diesen erwachsenen und kindlichen Anteilen differenzieren. An der räumlichen Anordnung wird dann deutlich, dass der kindliche Anteil des Klienten praktisch mit der Repräsentanz der verstorbenen Person verschmolzen ist. Häufig wird für diese zwei Anteile (die verstorbene Person und das Kind, das an dieser Person festhält) Bodenanker aus der selben Farbgruppe gewählt, z. B. zwei rosa Anteile in verschiedenen Schattierungen. Der erwachsene Anteil (das Ich) vermeidet den Kontakt zu diesen zwei verschmolzenen Anteilen. Meist steht er leicht oder ganz abgewandt oder kann nicht hinsehen, da es einfach zu schmerzvoll ist. Auch die Erkenntnis, etwas nicht zu 100% verarbeitet zu haben, schmerzt einen Erwachsenen, denn sie revidiert sein Selbstbild, Kontrolle über sich und sein Leben und Erleben zu besitzen und autonom zu sein.

Der kindliche Anteil hat aber nicht nur Angst davor, verlassen zu werden. Er hat auch Angst davor, die Liebe und all die Erfahrungsschätze, besonders die guten, zu verlieren, wenn er die Person tatsächlich gehen lässt. Was er nicht weiß: Das wird nicht passieren.

Im Prozess entscheiden sich die Klienten also dafür, die verstorbene Person gehen zu lassen. Dieser Prozess besteht aus mehreren Schritten: der eigentlichen Erkenntnis, der Aussprache und dem Zulassen der Trauer, dem Loslassen und der Annahme des Eigenen, was mit dieser Person verbunden war. Anschließend wird der eigene kindliche Anteil an sich herangelassen und möglichst integriert. Letzteres kann noch etwas dauern, da die beiden Anteile, der erwachsene und der kindliche, verständlicherweise fremdeln. Der kindliche Anteil muss – wie jedes andere Kind – erst einmal eingewöhnt werden. Dass das dauern kann, weiß jeder Erzieher zu berichten.

Was sind die Nachwirkungen eines solchen Prozesses?

Durch einen solchen Prozess wird Energie im System des Klienten frei, die nicht mehr im Festhalteprozess blockiert ist und die er anschließend frei für die Belange seines Lebens einsetzen kann. Natürlich kann auch eine Nachfolgereaktion kommen. Der kindliche Anteil muss vielleicht noch nachtrauern. Oder die verstorbene Person erscheint noch einmal im Traum. Nach einiger Zeit ist aber die Lebendigkeit wiederhergestellt und der Klient kann sich seinem Leben und auch seinen anderen großen Knoten zuwenden.

Beispiel aus der Praxis "Eine schwarze Kugel im Bauch"

Eine Klientin berichtet davon, dass sie seit längerer Zeit eine Kugel im Bauch hat. Sie klagt auch über Magenbeschwerden. Es falle ihr auch manchmal schwer, sich aufzuraffen, zum Sport zu gehen oder auszugehen. Wenn sie aber da ist, mache es ihr durchaus Spaß. Am liebsten würde sie aber zu Hause bleiben. Angefangen habe es ein Jahr zuvor, kurz vor der Trennung von ihrem damaligen Lebensgefährten. Auf Nachfrage hin beschreibt sie die Kugel als groß und schwarz. 

Ich bitte sie, auf einem Blatt Papier ihr Thema und das, was ihr dazu einfällt, aufzuschreiben oder aufzumalen. Das Thema heißt "Der Auslöser". Und ihre Notizen zum Thema bestehen aus mehreren Zeichnungen. Die Zeichnungen bekommen Namen: schwarze Kugel, Stress und Kopfsache.

Ich bitte die Klientin, die schwarze Kugel und sich selbst als Bodenanker zu platzieren. Ebenso das Thema. Die schwarze Kugel und sie sind nicht miteinander verbunden. Die Klientin ist wie festgetackert. Die schwarze Kugel fühlt sich komplett eingesperrt.

Die Klientin berichtet von einer Erinnerung, die auf einmal hochgekommen ist: Vor einigen Jahren starb ihre Patentante an Krebs. Niemand fragte sie damals, wie es ihr ging, weil alle anderen mit ihrer eigenen Trauer beschäftigt waren. Es wird deutlich, dass die Klientin ihre Trauer noch nicht komplett zulassen konnte und noch sehr an ihrer Patentante festhält, die für sie anscheinend eine sehr wichtige Bezugsperson war.

Ich bitte die Klientin, ihre verstorbene Patentante aufzustellen sowie den kindlichen Anteil der Klientin, der die verstorbene Tante nicht loslässt. Diese beiden Anteile sind eng miteinander verbunden. Ich erkläre der Klientin, dass wir häufig an Bezugspersonen festhalten, weil wir denken, dass wir sonst die Liebe und all das Gute, was wir durch sie erfahren haben, verlieren würden. Durch das Festhalten lassen wir aber unsere Trauer nicht zu und auch unsere Lebensenergie bleibt in diesem Prozess gebunden.

Es folgt ein längerer Prozess der Annäherung an die eigenen Anteile und die eigenen Ressourcen, der ermöglicht, dass die Klientin sich selbst vertraut und ihrer Trauer und ihrer Strategie des Festhaltens ins Auge sieht. Auch die Anteile "Stress" und "Kopfsache", die zu Beginn den Prozess eher blockieren, entpuppen sich als zuverlässige Ressourcen, wenn die Klientin sie anders einsetzt. 

Am Ende dieses Annäherungsprozesses kann sich die Klientin von ihrer Position und auch von der Position der schwarzen Kugel aus von ihrer Patentante verabschieden. Symbolisch gibt sie ihr das zurück, was sie für sich behalten wollte, was aber zur Patentante gehört. Es fällt ihr schwer. Symbolisch bekommt sie von ihrer Patentante auch all das zurück, was sie durch die Erlebnisse und die Zeit mit ihr gewonnen hat. Es ist ihr Eigenes. Daraufhin darf die Patentante in Frieden gehen. 

Zum Schluss fokussiert sich die Klientin auf ihre Selbstanteile und speichert das Körpergefühl der Selbstverbundenheit ab.

Musikvideoempfehlung

Das wohl ergreifendste Musikvideo zum Thema Trauer ist Routine von Steven Wilson.

 

Fragen zum Nachforschen und Ergründen

  • Welche Erfahrungen mit Tod und Trauer habe ich in meinem Leben gemacht? Welche wichtigen Bezugspersonen sind gestorben? Zu wem ist ggf. Kontakt verloren gegangen? Von wem habe ich mich getrennt? Welche wichtigen Dinge habe ich verloren? Gab es auch große Verluste in meiner eigenen oder in der  Familiengeschichte (z. B. Verlust des Hauses / des eigenen Landes wegen Flucht, Krieg usw., Verlust eines Kindes, Verlust eines Soldaten, Selbstmord, Abtreibungen und Fehlgeburten)?
  • Habe ich eine wichtige Bezugsperson verloren (egal ob vor Kurzem oder vor 50 Jahren), zu der ich eine besondere Verbindung hatte? Wie reagiere ich innerlich auf diese Frage? Kommen mir vielleicht Tränen? 
  • Falls ich vor Kurzem (vor Kurzem ist relativ! Es können auch einige Jahre vergangen sein.) einen mir wichtigen Menschen verloren habe, wie gestaltet sich meine Trauer? Bin ich in einer Endlosschleife gefangen und muss jeden Tag weinen? Oder gestehe ich mir gar keine Trauer zu und funktioniere weiter? Oder reagiere ich eher mit körperlichen Beschwerden / Schmerzen oder gar einer Krankheit? Gestehe ich mir auch gemischte Gefühle zu? Wut, Trauer, Ohnmacht, Trotz, Verlassenheit usw.?
  • Falls ich vor nicht allzu langer Zeit Kontakt zu einer wichtigen Bezugsperson (Eltern, alte Freundin / alter Freund / ex-Partner/-in usw.) abgebrochen bzw. verloren habe: Wie geht es mir jetzt? Kann ich die Trauer darüber zulassen? Kann ich wirklich loslassen? Lasse ich mich auf den Trauerprozess ein oder verharre ich (noch) in den alten (Wut-/Schuld-)-Gefühlen und halte so an der Bindung fest?
  • Wenn ich endgültig loslassen würde, was würde ich dann verlieren? Ist meine Angst vor diesem weiteren Verlust berechtigt oder ist es eine (kindliche) Illusion, die das Festhalten rechtfertigt, so dass ich mir selbst keine Befreiung zugestehe?

 

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Bildnachweis: 
Bild von Anemone123 auf Pixabay
Bild von Katja Just auf Pixabay