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Ur-Wunden und Ur-Kräfte: die Kontaktverletzung

 

Inhaltsverzeichnis

 

Die Verletzung der Kontaktfähigkeit ist eine der tiefsten Verletzungen, die ein Mensch erleiden kann. Vielleicht ist es sogar die tiefste. Jeder Mensch sehnt sich im tiefsten Inneren nach echtem Kontakt.

Was ist echter Kontakt und was ist er nicht?

Vielleicht ist es einfacher zuerst zu sagen, was kein echter Kontakt ist:

  • Austausch von Informationen auf rein rationaler Ebene bis hin zu Diskussionen.
  • Smalltalk (Es gibt Ausnahmen!).
  • Streit, Vorwürfe, Angriff und Flucht.
  • Alle Formen von Manipulationen, ob direkt als Bestrafung oder Belohnung, oder subtil oder hintenrum-verdeckt.

Nur weil die o. g. Punkte keinen echten Kontakt darstellen, heißt es nicht, dass diese Kommunikationsstile keine Berechtigung haben. Schließlich runden sie unsere Erfahrung des Menschseins ab, komplettieren sie, wenn auch häufig auf eine unangenehme oder eine oberflächlich-unbefriedigende Art und Weise. Smalltalk mit einem Nachbarn mag genau das Richtige sein, Smalltalk mit einem Partner oder einem Elternteil kann einiges auslösen und die alte Kontaktverletzung wecken.

Was ist also nun echter Kontakt?

Echter Kontakt lässt sich schwer in Worte fassen. Es ist eine gefühlte Sache. Ich versuche es aber trotzdem:

  • Er ist entspannt-fokussiert.
  • Er ist ergebnisoffen außer einem Ergebnis: und zwar das Ergebnis ist gleich Prozess. Es geht also um puren Selbstzweck: Echter Kontakt will echten Kontakt.
  • Die Energie fließt auf allen Ebenen (und nicht nur im oberen Teil des Körpers oder nur im Kopf) und daher...
  • ...ist echter Kontakt energetisch hochschwingend.
  • Er ist meist mit tiefem Augenkontakt verbunden.
  • Die (psychologischen) Grenzen verschwimmen bzw. sind nicht mehr nötig. Es fühlt sich wie eine Einheitserfahrung an. Es flowt. 

Kontaktangst

Alle Menschen, die sich sehnlichst echten Kontakt wünschen, müssen auch Kontaktängste und Kontaktverhinderer in sich tragen. Warum ich das so behaupten kann? Wenn sie das in sich nicht hätten, würden sie echten Kontakt erleben, denn sie wären absolut fähig dazu und ihre Kontaktpartner, als ihre Spiegel, auch. Man ist also innerlich gespalten: Man will Kontakt und man tut einiges um ihn zu verhindern. Anschließend projiziert man die Gründe für den gescheiterten Kontakt auf den Beziehungspartner: Er habe etwas nicht verstanden, falsch geguckt, etwas Flasches gesagt, sei mit Gedanken woanders gewesen, hätte einen nicht gesehen usw. usf. Andere Menschen spüren diese Sehnsucht und auch diesen Wunsch nicht. Sie sagen: "Mir fehlt nichts. Alles ist in Ordnung." Es gibt aber Anzeichen in ihrem Leben, z. B. körperliche Symptome, dass sie sich diesbezüglich etwas vormachen. Der Mensch ist ein Wunderwerk: Um zu überleben ist es ihm möglich, ein Bedürfnis so tief zu vergraben, dass er nicht einmal mehr weiß, dass es jemals da war. In einer Paarbeziehung, die Kontaktverletzungen zum Thema hat, übernimmt tendenziell die Frau die kontakteinfordernde Rolle, der Mann übernimmt eher die verdrängende Rolle, nach dem Motto: "Es ist alles okay, ich weiß nicht, was du meinst." Bleiben wir aber bei der Betrachtung derjenigen, die ihre Kontaktängste - und Sehnsüchte noch spüren.

Die Angst bedingt sich selbst. Hat man Angst vor Kontakt, verhindert man mit der Angst genau das, was man sich so sehnlichst wünscht. Daraus entsteht möglicherweise noch mehr Kontaktangst: Die Schlange beißt sich in den Schwanz. Einen Weg daraus gibt es nur, wenn man bewusst den Entschluss fasst, sich für Kontakt zu öffnen. Den ersten Schritt kann man im sicheren therapeutischen Setting tun. Damit geht man sicher, beim Beziehungspartner und bei sich selbst nichts anzutriggern, was wiederum in den alten Kreislauf führt. Mit etwas Erfahrung wird man es später auch selbst regeln und einen Weg aus dem alten Kreislauf "live im Alltag" finden können. Die ersten Schritte sind aber schwer. Ich erinnere mich noch gut an die Sitzung mit einer Klientin, die beschrieb, wie sehr sie sich jemanden wünscht, der sie sieht und so richtig mit ihr in Kontakt ist. Im Laufe der Sitzung stand ich auf einer Repräsentanz, die genau so ein Jemand war. Dabei haben wir im Laufe der Sitzung die Repräsentanz innerlich freibekommen. Äußerlich fehlte sie, denn wie soll jemand die Klientin sehen und echten Kontakt mit ihr haben können, wenn sie das selbst mit sich selbst nicht kann? Also bot ich von dieser Repräsentanz aus der Klientin genau das an, was sie sich so sehnlichst wünschte. Sie konnte mir nicht einmal wenige Sekunden in die Augen sehen. Sie fühlte Angst und alter Schmerz kam hoch. Ich bat sie, mir immer ein paar Sekunden in die Augen zu schauen, anschließend wegzusehen und die Schmerzwelle zuzulassen. So arbeiteten wir uns in ganz kleinen Schritten Richtung Kontakt vor.

Es ist ein herausfordernder und schmerzhafter Prozess, seine Kontaktängste aufzulösen. Manchmal kann er nur in kleinen Schritten gelingen. Manchmal gelingt er sofort. Bei manchen Menschen ist der Kontakt an sich schon gut, es muss nur etwas Feintuning vorgenommen werden oder er fehlt nur in bestimmten Situationen, in denen die Verletzung wirkt. Das heißt, sie tragen die alte Verletzung nur noch punktuell in sich und müssen sie punktuell heilen. Das ist eine kleinere Herausforderung, als wenn echter Kontakt grundsätzlich eingeschränkt ist. So oder so braucht der Prozess aber Mut, sich diesen Punkten zu stellen. Es gilt übrigens auch: Je weniger echten Kontakt wir (zu uns, zur Umwelt) haben, desto stärker sind unsere Symptome. Sie können also ungefähr an der Stärke Ihrer Symptome, ob körperlich, emotional oder beziehungstechnisch, ablesen, wie es um Ihren Kontakt steht. Seien Sie aber milde zu sich, wenn Ihre Analyse nicht so prickelnd ausfällt. Statt sich die Schuld zu geben oder im Selbstmitleid zu baden, fassen Sie lieber den Entschluss, sich darum zu kümmern!

Die ursprüngliche Verletzung von verschiedenen Ebenen aus betrachtet

Die ursprüngliche Verletzung kann verschieden betrachtet werden. Die typischen Betrachtungsebenen in meiner Praxis, die ich unbedingt beide verwende, und zwar an der Stelle, wo sie angebracht sind, sind psychologischer und spiritueller Natur. Schauen wir uns beide an!

Auf der psychologischen / psychischen Ebene betrachtet liegt die Kontaktverletzung in der frühen Kindheit, manchmal sogar schon im Mutterleib. Das Kind nimmt Kontakt zur Mutter auf und sie geht auf diesen Kontakt und auf das Kind nicht ein. Es kann sein, dass der Kontakt da ist, aber nur oberflächlich, also nicht auf allen Ebenen. Oder der Kontakt ist manipulativ, und zwar offen oder verdeckt. Die Mutter will ihre Interessen und Vorstellung durchsetzen, das auf eine gewalttätige oder auch eine scheinbar liebevolle Art. Oder der Kontakt ist gar nicht da, es folgt eine Zurückweisung. Ein Kind kann daraus die Ansicht entwickeln, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Die Folge sind z. B. Minderwertigkeitsgefühle und eben Kontaktängste. Eine andere Folge auf der Beziehungsebene, die mittlerweile immer häufiger anzutreffen ist, sind Kontaktabbrüche.

Auf der spirituellen Ebene ist die Kontaktverletzung nur eine tiefgreifende Erfahrung, die man als Mensch machen kann. Man kommt aus der Einheit, in der absoluter Kontakt herrscht: Alles ist eins. Im echten Leben wird diese Erfahrung verletzt. Die Sehnsucht danach bleibt. Der Mensch entwickelt Wege und Strategien, damit umzugehen. Auch wenn diese Wege und Strategien auf den ersten Blick ihn weiter weg von der Einheit und zum Leiden bringen, sammelt er so wertvolle Erfahrungen, die er ohne die Entfernung von der Einheit nicht sammeln würde. Um einige Erfahrungen reicher und reifer kann er sich nun entschließen, zur Einheitserfahrung zurückzukehren.

Manche Menschen versuchen das Bearbeiten der psychologischen Ebene zu überspringen auf der Suche nach Kontakt. Sie geben ihre Grenzen zu früh auf, versuchen andere zufriedenzustellen oder wagen es nicht, ihre Bedürfnisse zu äußern und so Konflikte zu provozieren. Natürlich bekommen sie auf diesem Wege keinen echten Kontakt, weil sie mit sich nicht in Kontakt sind. Sie überschreiten ihre und fremde Grenzen an Stellen und zu Zeitpunkten, an denen sie für diese Erfahrung noch nicht reif sind. Auch bringt das rein rationale Annehmen der spirituellen Sichtweisen wenig bzw. kann es sogar als zusätzlicher psychologischer Schutz dienen. Man ist scheinbar auf einer Ebene, auf der man noch gar nicht ist, und schützt sich vor... ja, genau, vor Kontakt! Vor Kontakt mit den Verletzungen, die sich noch auf der psychologischen / psychischen Ebene verbergen.

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Umgang mit Kontaktwunsch als Paar

Als Paar empfiehlt es sich, eine Art Code zu vereinbaren, um dem Wunsch nach Kontakt gerecht zu werden. Sprechen Sie mit Ihrem Partner über Ihr Bedürfnis und vereinbaren Sie ein Signal, z. B. ein Wort oder eine Nummer. Mein Mann und ich haben als Codewort die 42 (hihi ;-)) vereinbart. Die Anfrage an den Partner lautet also: "Ich brauche die 42 von dir." Daraufhin kann er überprüfen, ob er dazu bereit ist und eine klare Antwort geben. Die Antwort besteht aus drei Möglichkeiten: Ja, Nein oder Ja, aber unter folgenden Bedingungen, was Zeit, Raum etc. betrifft. Beispiel: "Ja, aber dafür müssen wir ins Wohnzimmer gehen." Oder: "Nein, jetzt nicht, aber in zwei Stunden." Das gibt dem anderen Partner eine gute Orientierung und erfüllt sogar den ersten Wunsch nach echtem Kontakt.

Es ist wichtig, dass beide Partner wissen, worum es geht. Als ich z. B. meinen Mann darum bat, mich mit Interesse anzusehen, ging er davon aus, dass er etwas sagen müsste oder mir zuhören müsste, dabei meinte ich das nicht.

Wenn ein Paar noch nicht so weit ist, dieses Thema alleine zu regeln, sollte es Hilfe suchen. Jeder Kontaktwunsch triggert ja auch die alten Verletzungen. An vielen Stellen ist es schwierig, sie als Paar zu heilen, wenn man darin noch keine Erfahrung hat, zumal man dann wahrscheinlich auch die Kontaktverletzung des Partners mit antriggert und wieder ein altes Muster in Form von Streit oder Flucht hervorlockt. Mit der Zeit wird man auch zu zweit Kontaktverletzungen heilen lernen, besonders wenn es um ihr punktuelles Erscheinen in einigen wenigen konkreten Situationen geht.

Als Paar immer in echtem Kontakt?

Ja, das wäre vielleicht das Ziel oder wünschenswert. Wobei so ein echter Kontakt eine energetisch hochfrequente Sache ist und immer das Potential hat, etwas Altes hervorzulocken, aber auch zu heilen und zu transformieren. Manchmal reicht auch ein Austausch von Informationen auf einer pragmatischen Ebene, z. B., wer was im Haushalt übernimmt oder wer wie lange arbeitet oder wer sich um etwas kümmert. Echter Kontakt ist aber auch eine wichtige Voraussetzung für ein erfülltes Sexualleben und auch für das Erfüllen von Nähebedürfnissen nicht sexueller Art, z. B. nach Berührung, nach Gesehen- oder Gefühltwerden.

Echter Kontakt mit einem Kind

Es ist natürlich äußerst wichtig, dass ein Kind mit seinen Eltern echten Kontakt erlebt. Manche Eltern setzen sich an dieser Stelle so sehr unter Druck, dass sie durch diesen Druck übertreiben und so den echten Kontakt verfehlen. Echter Kontakt ist immer entspannt-fokussiert und will nichts Konkretes erreichen außer echtem Kontakt. Ich erinnere mich, dass eine Klientin sich diesbezüglich unter Druck setze. Ich erzählte ihr von der Forschungsarbeit eines berühmten Psychoanalytikers und Kinderarztes Donald Winnicott. Er prägte den Begriff der "good enough mother", also einer Mutter, die gut genug ist. Nun, was schätzen Sie, wie häufig hatte sie echten Kontakt mit ihrem Kind? Meine Klientin schätze das auf 80-90%. Laut Winnicott sorgten schon 30-35% echten Kontakts in Interaktionen für eine Bindung, die gut genug war. Eine große Last fiel von meiner Klientin ab.

Konkret bedeutet es, dass es sich lohnt, sich während der Interaktionen mit dem Kind zu reflektieren: Will ich etwas Bestimmtes? Dass mein Kind dieses oder jenes tut? Dann sollte ich das auch so kommunizieren. Oder will ich einfach gemeinsame Zeit? Dann kann ich mich zurücklehnen und mein Kind einfach genießen. Ich kenne das Problem, dass mein Kind ganz andere Interessen hat als ich. Irgendwann muss ich dann sagen: "Meine Kapazität für Pferde ist aufgebraucht". Alternativ könnte ich versuchen zu ermitteln, was mein Kind mir über sich selbst zu vermitteln versucht, also hinter die Pferde-Fassade zu schauen. Es ist eher eine energetische Sache. Ich muss mich also dafür energetisch öffnen und alle Informationen aufnehmen, die mir mein Kind sendet. Natürlich kann ich das nicht, wenn diese Öffnung an meine alten Kontaktverletzungen anrührt, die es noch zu heilen gilt. Auf dem Bild weiter unten sind sie als schwarze Blöcke dargestellt, die um einen herumschweben, Kontakt verhindern und auch wehtun. Und so empfehle ich jedem Elternteil, sich seinen eigenen Kontaktverletzungen zuzuwenden. Sie werden erstaunt sein, wie positiv dies Ihren Kontakt zu Ihrem Kind beeinflussen wird!

Kontakt als Ur-Kraft

Die ursprüngliche Kontaktfähigkeit ist eine unglaublich machtvolle Kraft. Denken Sie an ein Baby, das sofort (fast) alle Erwachsenen zum Schmelzen bringt. Bereitwillig lassen sie sich auf den Kontakt mit dem Baby ein, legen ihre sonstigen Schutzpanzer ab und genießen ihn. Der echte Kontakt bringt Schutzmechanismen zum Einsturz und hat eine heilende und eine transformierende Wirkung. Die Transformation beim Kontakt bezieht sich v. a. auf das Erschaffen von etwas Neuem. Aus eins und eins wird eben nicht einfach zwei, sondern dieses Neue ist mehr als die Summe der Einzelteile. Deswegen mögen wir Beziehungen so sehr. Zu zweit oder zu mehreren haben wir ein höheres Potential als jeder für sich alleine und zwar nicht um Faktor 2 sondern potenziert. Und so werden die schwarzen Blöcke verschwinden oder ihre ursprüngliche Farbe wieder annehmen und Sie werden mit immer mehr und immer tiefgehenderem Kontakt belohnt!

 

Fragen zum Nachforschen und Ergründen

  • Wie steht es um meine Kontaktfähigkeit? Wie schätze ich mich diesbezüglich ein?
  • Wie wurde meine Kontaktfähigkeit als Kind verletzt? Welche Wunden habe ich davon getragen? Habe ich all meine Wunden versorgt oder sind noch welche da? Letzteres erkenne ich an etwaigen Kontaktängsten, die ich noch habe.
  • Wie steht es um den Kontakt mit meinem Partner? Komme ich voll und ganz und auf allen Ebenen auf meine Kosten?
  • Wie steht es um den Kontakt mit meinen Kindern? Kann ich sie so lassen, wie sie sind, und einfach in Kontakt zu ihnen gehen? Oder muss ich ihnen ins Wort fallen, sie kritisieren, etwas berichtigen, Sorgen äußern usw. usf.?
  • Kenne ich schon die gewaltige Ur-Kraft meiner Kontaktfähigkeit? Habe ich damit schon einmal eine wichtige Veränderung für mich oder für jemand anders bewirkt?

 

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