freiRaum · Gartenallee 51c 28359 Bremen 0176 456 473 12 kontakt@innerer-freiraum.de

Sexuelle Gewalt

 

Disclaimer: Dieser Artikel kann Trigger enthalten. Lesen auf eigene Verantwortung!

 

Inhaltsverzeichnis

 

Sexuelle Gewalt ist weit verbreitet

Sexuelle Gewalt kommt viel häufiger vor, als man denkt. Tatsächlich sind sehr viele Menschen betroffen. Es müssen nicht immer die sog. Hands-On-Taten sein, bei denen man angefasst worden ist. Gewalttätig und grenzüberschreitend sind auch schon Worte, Blicke, Andeutungen.

Manche Gewalttaten hat man scheinbar vergessen, bis...

Manche Menschen tragen die Spuren des sexuellen Missbrauchs in sich, den sie vergessen zu haben scheinen. Es braucht einen Auslöser im Außen und dann kann die Erinnerung wieder kommen. So wFrau, mystischar das bei einer Frau, die sich an mich wandte, weil sie auf einmal – es gab sicherlich einen Auslöser im Außen – Erinnerungsfetzen und Albträume bekam und beobachtete, dass sie sich in manchen Situationen komplett ausgeliefert fühlte. Sie hat dann zu allem Ja gesagt, was überhaupt nicht in ihrem Interesse war, und konnte sich im Nachhinein ihre Reaktion nicht erklären. Während der Sitzung kam die Erinnerung: Eine Missbrauchssituation als junges Mädchen durch eine fremde Person. Glücklicherweise eine einmalige Sache, die aber einen extremen Einfluss auf manche Situationen im Hier und Jetzt hatte. Wurde sie mit einem Anspruch von jemandem konfrontiert, gab sie ihre kompletten Grenzen auf, was sie kognitiv nicht verhindern konnte.

Ein Trauma zeigt sich. Und dann?

Was passiert, wenn es klar wird, dass sich in der Sitzung ein sexuelles Trauma zeigt? Ich biete dem Klienten an, es zu bearbeiten und den damit verbundenen Täter-Opfer-Kreislauf zu unterbinden, so dass er nicht mehr im Alltag wirkt. Der Klient entscheidet, ob er es hier und jetzt machen möchte oder in einer separaten Sitzung oder erst einmal gar nicht. Auch ich schätze kurz ein, ob genug Ressourcen und Sicherheit für die Verarbeitung vorhanden sind. Praktisch immer ist das der Fall: Das sexuelle Trauma zeigt sich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.

Welche Methoden bieten sich an?

Es gibt verschiedene Herangehensweisen. Körperpsychotherapeutisch ist es möglich, die festgefrorenen Impulse freizusetzen. Lösen sich die damit verbundenen Anteile aus der Erstarrung (Häufig sind es Beine zum Weglaufen, Arme zum Kämpfen und zum Verteidigen und das Becken – als traumatisiertes Element und gleichzeitig als unterdrückte Kraftquelle.), bekommt die Klientin das Gefühl, weglaufen oder sich wehren zu können und setzt es auch um. Beim Weglaufen muss sie nicht tatsächlich laufen, sondern das Gefühl haben zu laufen. Ihr Körper bewegt sich, macht Laufbewegungen, zittert. Das kann auch mit symbolischer Bilderarbeit verbunden werden. Sie läuft an einen sicheren Ort. Dort ist eine Person, die sie empfängt und ihr Sicherheit spendet. Es ist unwesentlich, dass die Realität damals anders aussah. Wichtig ist, dass die Erfahrung zu Ende gebracht wird und ab jetzt der Vergangenheit angehört. Sie ist entkommen. Sie ist in Sicherheit. Das macht den Übergriff nicht ungeschehen, dafür wird die Person jetzt freier und offener für neue Erfahrungen, da das Trauma als vergangenes Ereignis abgespeichert wird. Im Rahmen der Aufstellungsarbeit verbinde ich Systemik und Tiefenpsychologie mit Körperpsychotherapie. Das bedeutet, die inneren Anteile werden aufgestellt (Systemik!), sie werden dem Täter-Opfer-Schema zugeordnet (Tiefenpsychologie!) und die erstarrten körperlichen Impulse dürfen auftauen und zu Ende gebracht werden (Körperpsychotherapie!). Ein wichtiger Aspekt ist die Konfrontation des Täters, wodurch seine Macht schwindet, bis er irgendwann verblasst und ganz verschwindet. Die heutige Person, gestärkt durch die Sitzung und durch meine Anwesenheit, kann die Grenzüberschreitung ganz klar benennen und die Verantwortung zurück an den Täter geben. Sie kann sagen, dass es nicht in Ordnung war. Das hätte er oder sie nicht tun dürfen! Auch Wut- und Hassgefühle und sogar Todeswünsche gehören an dieser Stelle ausgesprochen und ausgedrückt. Diese Konfrontation und diese Klarheit wurden davor durch Schamgefühle unterbunden, manchmal auch durch eine Unsicherheit, ob es wirklich so passiert ist. Im nächsten Schritt geht es an den traumatisierten Anteil, der höchstwahrscheinlich immer noch erstarrt ist und in einigen Situationen wirkt (s. das Beispiel weiter oben: das Ja-Sagen in Drucksituationen, obwohl es einem viele Nachteile bringt). Dieser Anteil braucht die Erlaubnis des erwachsenen Ichs sich aus seiner Erstarrung zu lösen. Die Erstarrung war eine zuverlässige Überlebensstrategie. Die Annahme dahinter: Wenn ich nicht erstarre, wird der Täter mich schwer verletzen und vielleicht töten, dann werde ich sterben. Das erwachsene Ich kann versichern, dass das nicht der Fall sein wird, und so kann der erstarrte Anteil wieder zum Leben erwachen. Es kommt Trauer darüber, was geschehen ist. Wird sie zugelassen, ist die Energie dieses Anteils nicht mehr gebunden und steht der Klientin frei zur Verfügung, zum Beispiel für ihre Kreativität und Sexualität. Auch kann dieser Anteil ein zuverlässiger Marker sein, wenn sich jemand nähert, der böse Absichten hegt. Dann weiß die Klientin, dass sie sich fernhalten und diese Person auf Abstand halten soll.

Ein Praxisbeispiel: Erstarrung schaltet das Frühwarnsystem und die Abgrenzungsfähigkeit aus

Solange der Anteil erstarrt ist, funktioniert das Frühwarnsystem nicht gut, nicht zuverlässig oder gar nicht, und so kann sich die Klientin in genau den Situationen wiederfinden, die sie am liebsten vermieden hätte. Neulich habe ich mit einer Klientin am Reaktivieren ihrer Instinkte gearbeitet. Sie konfrontierte den Täter. Aus dem Macho wurde ein kleiner Junge, der sich (von seiner Mutter?) beschämt und gescholten fühlte. Seine Übermacht war gebrochen. Da die Klientin eine Überwältigung von hinten erlebte, wollte ich, dass sie ihre Reflexe aktiviert und einen Übergriff von hinten zuverlässig abwehrt. In der Repräsentanz des Täters machte ich also hintenherum einen großen Bogen um sie und näherte mich ihr von hinten. Ich konnte ihr ohne Probleme so nahe kommen, dass ich ihr praktisch direkt ins Genick atmete. Sie reagierte nicht. Als ich sie darauf ansprach, meinte sie, sImprisonedie hätte gar nicht gemerkt, dass ich mich näherte und dass ich dann direkt hinter ihr stand. Ihre Reflexe und ihr Frühwarnsystem waren noch außer Kraft gesetzt. Wir versuchten es noch einmal mit demselben Ergebnis. Also bat ich sie, dem erstarrten Anteil – wie oben beschrieben – zu erlauben, sich wieder zu regen. Nach der Verarbeitung geschah ein Wunder: Sie merkte schon 2 Meter, bevor ich da war, dass jemand von hinten kam, die Abwehrgeste wurde aktiviert. Ich arbeite mit ihr an der Abwehrgeste – Ellenbogen als Waffe einsetzen, Becken entspannen, Kraft aus den Beinen holen. Ich stand direkt hinter ihr und bat mich als Abwehrfläche an, so dass sie mit voller Kraft – sie sollte ihre volle Kraft spüren – die Abwehrgeste ausführen konnte. Es hat sie selbst überrascht, wie viel Kraft sie hat! Was in diesem Zusammenhang wichtig ist: Je besser man mit dieser Kraft verbunden ist, je besser man seine Grenzen spürt, je besser das Frühwarnsystem arbeitet, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man überhaupt in solche Täter-Opfer-Situationen kommt. Umgekehrt gilt: Erstarrungsanteile, inaktives oder überaktives Frühwarnsystem, Angst vor eigener Kraft bzw. deren Zurückhaltung (aktive Opferanteile!) sind für viele Täter geradezu eine Einladung.

Das Phänomen der Verallgemeinerung. Die Sichtbarkeit im Körper

Noch eins ist der Klientin klar geworden: Sie hatte praktisch alle Männer unbewusst in der Täter-Kategorie platziert. Sie begegnete ihnen mit Zurückhaltung, ihr Becken war angespannt. Was als Selbstschutz funktionieren sollte, lockte dann eher die Falschen an. (Ein offenes BeSchwarze Rose. Urwunde als Urkraftcken ist ein Signal für Offenheit, Augenhöhe, Respekt, auch in der Partnerschaft. Ein angespanntes – auf Traumatisierung, Täter-Opfer-Kreisläufe.). In diesem Moment tat es ihr leid, da sie vielen Männern zu Unrecht böse Absichten unterstellte, was sie durch lösende Tränen verabschieden konnte. Andererseits öffnete sich für sie eine neue Möglichkeit: Sie konnte sich ab jetzt darauf verlassen, dass ihr System ihr zuverlässig melden wird, ob jemand vertrauenswürdig ist und mit guten Absichten an sie herantritt oder nicht, statt sich pauschal im Vorfeld für Abwehr und Verspannung zu sorgen.

Hoffnung?

Schlussworte? Krasses Thema, weit verbreitet... Im Artikel rede ich von Frauen als Opfern. Männer betrifft es auch. Manchmal ist das Trauma gut versteckt: „Eigentlich habe ich Ja gesagt, also war es kein Übergriff.“ Und ja, es kann gut verarbeitet werden. Es gibt Hoffnung und Besserung. Es kann nicht ungeschehen gemacht werden, aber man kann sich danach trotzdem frei und lebendig fühlen.

 

Buchempfehlung: "... der ganz alltägliche Missbrauch: Aus der Arbeit mit Opfern, Tätern und Eltern" von Mathias Wais und Ingrid Gallé

  

Zurück zum Blog 

 

Bildnachweis: 
Bild 1 von Stefan Keller
Bild 2 von kalhh
Bild 3 von Nicholas Demetriades